Arbeiten mit künstlichem Rost

Bild(Ge)Schichten entstehen durch Farb-Archäologie

 

Der Leser pflegt beim Genuss eines Buches gewöhnlich eine intrapersonale Kommunikation, einen Gedankenaustausch mit sich selbst. Beim Autor verhält es sich ähnlich, hinzu kommt die gestalterisch-produktive Seite des Schreibvorganges. In meinem Gestaltungsprozess sehe ich mich abwechselnd als Autor und Leser, sowohl beim Experimentieren auf Tafelbildern, wie auch beim Erstellen von Künstlerbüchern. Die (Ge)Schichten, die ich erzeuge, sind allerdings nicht auf sprachliche Weise zu begreifen, sondern eher auf einer abstrakteren Ebene zu erleben.

"Die Realität der Poesie (im klassischen Wortsinn) verbindet das Potenzial von Erfindung mit dem Potenzial des Machens. Und das ist Hoffnung." (Diet Sayler).

Die von mir gewählte Methode könnte genauer betrachtet als Farb-Archäologie bezeichnet werden: schichten, überlagern, besprühen, rosten, strukturieren, dann: bestimmte Bereiche wieder freilegen, abkratzen, auswaschen, zerschneiden.

 

Die Arbeit ist ein WechselSPIEL zwischen „entstehen lassen“, lesen (wahrnehmen) und einer gestalterischen Reaktion. Dabei spielen zum einen gesteuerte, innerhalb eines selbst gesetzten Rahmens entstehende Zufälle eine Rolle, zum anderen bewusste oder intuitive gestalterische Entscheidungen als Reaktion auf diese Vorgänge. In diesem Prozess zwischen Zufall und Notwendigkeit entstehen Bild(Ge)Schichten, die wiederum durch das Erleben des Betrachters vervollständigt werden können.

 

In evolutionären Entstehungsprozessen in der Natur scheinen mir dazu parallele Mechanismen am Werk zu sein. Eigen und Winkler schreiben etwa in ihrem Buch „Das Spiel – Naturgesetze bestimmen den Zufall“: „Wir sehen das Spiel als Naturphänomen, das in seiner Dichotomie von Zufall und Notwendigkeit allem Geschehen zugrunde liegt.“

Eine ähnliche Rolle schreibt der Physiker Schrödinger dem Zufall im Zusammenhang mit Naturgesetzen zu: „Die physikalische Forschung hat klipp und klar bewiesen, dass zumindest für die erdrückende Mehrheit der Erscheinungsabläufe, deren Regelmäßigkeit und Beständigkeit zur Aufstellung des Postulats der allgemeinen Kausalität geführt haben, die gemeinsame Wurzel der beobachteten strengen Gesetzmäßigkeit – der Zufall ist.“ (Schrödinger: „Was ist ein Naturgesetz“; Antrittsrede an der Universität Zürich, 1922).

 

Der von mir gesetzte Rahmen besteht vor allem in der bewussten Festlegung auf das Material Rost, dessen Möglichkeiten und Grenzen in einer Art experimenteller Materialforschung ausgelotet werden. Rost trägt für mich eine Ambivalenz in sich. Einerseits ist Rost ein Produkt des Verfalls, mit dem Alterung und Vergänglichkeit assoziiert werden können. Andererseits aber strahlt Rost in seiner Farbigkeit sehr viel Lebendigkeit aus. Letztlich ist zum Beispiel die Färbung von Blut auf seinen Eisenoxidanteil zurückzuführen. Besonders interessant erscheint, dass die beiden Pole „Lebendigkeit und Vergänglichkeit“ untrennbar, gleichzeitig existieren. Es geht also, wie beim oben genannten Zusammenspiel von Zufall und Notwendigkeit im Gestaltungsprozess, auch beim Material um ein „Sowohl-als-auch“, anstatt um ein „Entweder/Oder“.

Ein „Sowohl-als-auch“ sehe ich wiederum in der künstlichen Erzeugung des Rostes auf verschiedenen Untergründen in einem chemischen Prozess. Hier wird m. E. die Frage nach „Wirklichkeit“ aufgeworfen: der Rost ist einerseits "neu" und "künstlich“ erzeugt, andererseits aber dennoch real existent und "Verfallsprodukt". Das Spiel wird teils noch weiter getrieben, indem ich gesammelte „wirklich alte“ Dinge, wie Papiere, Pappen, Stoffe u. a. mit dem künstlichen Alterungsprozess verknüpfe.

 

Dass das Denken in einer „Sowohl-als-Auch-Logik“ gewinnbringend für das zukünftige, grundlegende Verständnis der Welt sein könnte, stellt auch der Quantenphysiker Hans-Peter Dürr in seinem Buch „Wir erleben mehr als wir begreifen“ (zusammen mit Marianne Oesterreicher-Mollwo) heraus: „Die Schwingung ist eine Metapher für eine andere Logik. Sie sagt, es gibt im Grunde nicht das Entweder/Oder, sondern ein Sowohl-als-auch. Die Welle ist etwas, das zwischen allen Möglichkeiten hin- und herpendelt. … In der Neuen Physik hängen Dinge eng zusammen, die im Bild der Alten Physik absolut getrennt sind. … Wirklichkeit ist im Grunde Potentialität, nicht Realität. … Das Wellenbild, das Schwingungsbild, ist das, was übrig bleibt, wenn wir alle begreifbaren Vorstellungen als untauglich hinter uns gelassen haben.“